LEHRMEISTERIN
"Das musst Du lernen - ohne kommst Du nicht weiter"
Violine sächsischer Geigenbau anno ~1900
In der Hochphase des sächsischen Geigenbau sind unzählige Instrumente fast schon am Fließband entstanden. Ein Instrument davon landete in meiner Werkstatt.
Diese Violine war das erste Instrument, was ich öffnete, zerlegte und überholte. Alle Arbeitsschritte das allererste Mal.
Ich erinnere mich noch an einen kühlen Freitagabend im Oktober. Ich hatte ein abgestumpftes Tafelmesser zur Hand, warmes Wasser und etwas Spiritus. Dann begann ich langsam die Decke zu öffnen. Ich suchte zunächst am Unterbug, in Kinnhalternähe eine bereits leicht offene Stelle und begann von dort aus den Leim mit lautem Knallen zu öffnen. Und das ging erstaunlich gut.
Am Halsklotz lief mir dann aber doch etwas der Stirnschweiß herunter. Ich hatte gut zutun dort den Leim zu lösen. Zumal ich auf keinen Fall etwas beschädigen wollte. Umso erstaunter war ich, als die Decke runter war.
Als erstes viel mir ein kleiner Papierfetzen, beschrieben mit altdeutscher Schrift, auf. Lag einfach lose darin und hatte mit Geigen nix zu tun. Was man nicht alles findet...
Das Stück Papier habe ich aufgehoben, als Erinnerung an meine erste Geige, welche geöffnet wurde.
Als nächstes bemerkte ich, das im möglichen Sichtbereich durch die F-Löcher oder den Endknopf, die Ecken mit falschen Klötzen versehen waren. Das hatte man im sächsischen Geigenbau öfter mal gemacht. Vermutlich um schneller produzieren zu können oder der Geige eine Hochwertigkeit vorzutäuschen. Zeitzeugenaussagen von damaligen Geigenbauern konnte ich leider nie wirklich recherchieren.
Auf jeden Fall stand eine Menge Arbeit an. Alle Leimungen erneuern, Fugen nachsetzen, ausgebrochenes Holz ersetzen, Lackretusche und am Ende spielfertig machen.
Für ein "Erstlingswerk" gleich das volle Programm. Aber geschadet hat es nicht. Ich habe so viel gelernt. Und die Sächsin war nicht zimperlich mit mir.
Wie gut auf den Bildern zu erkennen, habe ich damals noch viele Werkzeuge und Hilfsmittel selbst gebaut, um an mein Ziel zu kommen. Das hatte aber den Vorteil, das ich gelernt habe, was welche Werkzeuge können müssen, um wirklich brauchbar und gut zu sein.
Heute habe ich natürlich einen richtigen Satz Rissklammern und auch alle anderen "offiziellen" Geigenbauwerkzeuge. Aber damals war es eben mit viel "wie machste das jetzt" verbunden. Worüber ich sehr froh bin. Denn mehr hätte ich garnicht lernen können.
Was mich aber immer schon am meisten fasziniert hat - das Lesen von Spuren auf den Instrumenten. Gerade diese Geige zeigt deutlich, das sie viel in den hohen Lagen gespielt wurde. Abnutzungen auf Lack und Holz zeigen deutlich die Art und Weise wie jemand über einen längeren Zeitraum mit dem Instrument umgegangen ist. Wie sie gehalten wurde, gespielt und wieder abgelegt wurde. Faszinierend, nicht?